Die Reorganisation des Körpergedächtnissystems
Die therapeutische Arbeit mit drei Erinnerungssystemen.
Wir unterscheiden drei körperliche Zustände:
Kohärente Empfindungsebene (Normalbereich): Organismus fühlt sich der Belastung gewachsen; keine ausgeprägten somatischen Symptome.
Chaotische Empfindungsebene: Organismus findet, wenn auch unter Stress, eine Lösung; typische somatische Stresssymptome.
Traumatische Empfindungsebene: Traumatische Schockzustände des Körpergewebes und der Organe; typische somatische Traumasymptome.
Das Ereigniserinnerungssystem
Das episodische oder Ereigniserinnerungssystem speichert bedeutsame, häufig emotional geladene Erlebnisse wie traumatisierende Erfahrungen.
Ereigniserinnerungen können in Wörtern ausgedrückt werden. Traumatische Ereignisse sind mit äußerlichen „Triggern” verknüpft. Post-traumatische Symptome bilden sich durch Konfrontation mit einzelnen Auslösern, die ein Wiedererleben der Situation triggern.
Schmerz, wenn mein Kopf ans Fensterschlägt, und höre das Glas zersplittern.
Wennspäter etwas passiert, was auch nur in einem kleinen Teil dem ursprünglichen Ereignis ähnlich ist, z. B. wenn ich im Haus bin und ein Glaszerbrechen höre, können in diesem Moment
Multiple Parallel Memory Systems in the Brain
Gedanken wiederholen sich so, als ob der Unfall aktuell stattfinden würde.
Das Gewohnheitserinnerungssystem
Erworbene Gewohnheiten kommen aus dem Prozeduralen oder Gewohnheitserinnerungs- system. Sie werden auch „nicht-erklärbare“ Gewohnheiten genannt. Zum Beispiel können wir ein Fahrrad fahren, aber wir können den Vorgang, ein Fahrrad zu fahren, nicht in Worten ausdrücken. Es sind Aktionen und keine Beschreibungen oder Gedanken. Man entwickelt prozedurale Angewohnheiten durch präzise Wiederholungen (z. B. das Lernen eines Sports oder Fremdsprachen). Man lernt diese Angewohnheiten und Fähigkeiten langsam, aber wenn wir sie gelernt haben, vergessen wir sie nie oder nie ganz.
Erinnerte Gewohnheiten zeigen sich als Angewohnheiten, wie z. B. geistige Einstellungen und Verhaltensweisen oder bestimmte Fähigkeiten in Beziehung mit anderen Menschen. Gewohnheitserinnerungen speichern also tie- fe psychologische Angewohnheiten: Verhaltensmuster, Gedankenmuster und emotionale Muster, die völlig unbewusst durch viel Wiederholung gelernt wurden. Was das Kind lernt, unbewusst anzunehmen, zeigt sich später als Charakter des Erwachsenen.
Das Semantische Erinnerungssystem
Schließlich ist es wichtig, die Klienten in die eiene Autonomie zu führen, dies heißt, ihnen das Verständnis für den therapeutischen Ab- lauf und den verschiedenen Stadien einer Therapie zu vermitteln. Die Verarbeitung der Vergangenheit geschieht immer auch mental durch das Verständnis vergangener Erfahrungen. Dies entlässt den Klienten aus der Opferrolle und führt ihn in die Selbständigkeit. Pierre Janet wies darauf hin, dass das Verbalisieren von Erinnerungen wichtig sei:
“It is not enough to be aware of a memory that occurs automatically in response to particular current events: it is also necessary that the personal perception knows this image and attaches it to other memories“.
Co-Operation and Competition Among Memory Systems(Dominants/Anticipation. The hippocampus, dorsal striatum and amygdala do not process or store information in isolation; each of these structures performs these functions together with numerous other afferent and efferent brain areas that constitute systems) .Conditioned Cue Preference (CCP) .
Die therapeutische Arbeit mit Körperempfindungen
Um die körperlichen Informationssysteme, insbesondere die „Symptome“ des „erregten Nervensystems“ und die Körperempfindungsebene im Gewebe, im therapeutischen Pro- zess nutzen zu können, bedarf es einer besonderen Schulung der Therapeuten.
Oft finden wir dynamische Prozessabläufe vor, die durch energetische Über- oder Unterkopplungsphänomene im Nervensystem entstehen und nur schwer zu erkennen sind. Durch das Studium der Körperempfindungsebene können wichtige Reorganisationsphasen des Körpergedächtnisses erkannt werden.
Emotionen sind unmittelbar mit der Wahrnehmung von Körper- empfindungen verknüpft. Das Erleben der frühen Lebensphasen ist dominiert von Körper- empfindungen, denen erst durch Lernprozesse Emotionen zugeordnet werden.
Eine enge Kopplung zwischen Emotionen und Körperebene ergibt sich auch aus den Forschungs- arbeiten von Candace Pert. So sind Emotionen verknüpft mit der Ausschüttung von Neuropeptiden als physiologischen Substraten des Gefühls, die an verschiedenste Zellen bin- den und vielfältige Wirkungen im Körper haben (Pert 2005).
Ausblick
Ein vielfältiges Wissen aus der Neuropsychologie, aus psycho- und körpertherapeutischen Verfahren sowie aus medizinischen und bio- wissenschaftlichen Fachgebieten und die praktischen Erfahrungen aus somatisch orientierter Traumatherapie weisen darauf hin, dass die somatische Ebene für die Entstehung, Fixierung und Lösung von Trauma eine bedeutende Rolle spielt.
Die Effektivität der traumatherapeutischen Methode beruht auf der Reorganisation des Körpergedächtnisses und der zunehmenden Lösung der im Körper vorhandenen Spuren des Traumas.Dazu tragen neben der Entspannung des Nervensystems auch die im therapeutischen Prozess in den Körperstrukturen ablaufenden Veränderungen bei.
Ein wesentliches Kennzeichen der therapeutischen Methodik ist die Arbeit mit der Körperempfindungsebene und mit den Erinnerungssystemen. Dabei spielt die Arbeit mit der Ereigniserinnerung über das Körpergedächtnis eine wichtige Rolle für die Integration des Traumas.
Über die Gewohnheitserinnerung kann Zugang zu traumainduzierten Verhaltens- mustern gefunden werden, und es können Fähigkeiten als wichtige Ressource etabliert werden, die semantische Erinnerung unter- stützt den Klienten in seiner Autonomie und im Umgang mit Stress und Trauma.
Dr. rer. nat. Christina Pohlenz-Michel und Dr. phil. Herbert Grassmann